„Es tut mir leid. Kannst du mir verzeihen?“ Diese Worte sind im Alltag schon schwer. Journalist*innen und Medienhäusern scheinen sie kaum über die Lippen oder aus der Tastatur zu kommen. Gut, vielleicht drucken wir Rügen des Presserates (so wir nicht die BILD sind) oder veröffentlichen eine Richtigstellung. Aber Fehler wirklich eingestehen, sich damit beschäftigen und darüber nachdenken, wie es beim nächsten Mal besser geht? Fehlanzeige.
Das gehört auch nicht in die Zeitung? Jein. Natürlich sollte man nicht jede Meinungsverschiedenheit öffentlich austragen. Aber manche Dinge sind so wichtig, dass mehr Öffentlichkeit dringend nötig ist. Ein aktuelles Beispiel:
Die letzte Instanz?
„Viel Kritik hat der WDR für seine Talkrunde „Die letzte Instanz“, die am 29. Januar als Wiederholung ausgestrahlt wurde, geerntet. Berechtigte Kritik, wie der Sender ohne Wenn und Aber einräumt“, schreibt eben jener WDR am 01. Januar. In dieser Sendung hatten 4 weiße, deutsche Menschen ohne Migrationshintergrund unter anderem darüber abgestimmt, welche Wörter rassistisch sind und welche nicht.
Moderator Steffen Hallaschka schrieb dazu folgendes:
„Ich muss schmerzlich erkennen, wie viele Menschen unseren Talk „Die letzte Instanz“ als massiv verletzend und rassistisch diskriminierend erlebt haben. Das bestürzt mich, weil ich Rassismus abgrundtief verachte. Mit einer Debatte über rassistischen Sprachgebrauch nun im Zentrum von Rassismusvorwürfen zu stehen, trifft mich hart. Diejenigen, die die Sendung als verletzend empfunden haben, möchte ich aufrichtig um Entschuldigung bitten.“
Nehmen wir das einmal auseinander.
„Ich muss erkennen, wie viele Menschen unseren Talk als massiv verletzend und rassistisch diskriminierend erlebt haben.“
Also nicht: „Es tut mir leid, dass wir verletzend und rassistisch waren“, sondern: „Es tut mir leid, dass DU das so erlebt hast.“
„Das bestürzt mich, weil ich Rassismus abgrundtief verachte. Mit einer Debatte über rassistischen Sprachgebrauch nun im Zentrum von Rassismusvorwürfen zu stehen, trifft mich hart.“
Erneut kein Fokus auf die diskriminierten Menschen, sondern darauf, selbst die weiße Weste zu behalten. Nicht der Rassismus bestürzt Herrn Hallaschka, sondern dass IHM das vorgeworfen wird.
„Diejenigen, die die Sendung als verletzend empfunden haben, möchte ich aufrichtig um Entschuldigung bitten.“
Und noch einmal, nicht „WIR haben etwas falsch gemacht“ sondern „DU hast etwas als falsch empfunden.
Lieber Steffen Hallaschka, das ist keine Entschuldigung. Aber:
Sorry IS the hardest word
Nun ist es für Journalist*innen wirklich schwer, Fehler einzugestehen und um Entschuldigung zu bitten. Das Umfeld gibt das einfach nicht her. Auf der einen Seite ist die Arbeit unter Zeitdruck sehr fehleranfällig. Auf der anderen Seite gibt es in den meisten Redaktionen noch keinen souveränen und konstruktiven Umgang mit Fehlern. Fehler machen heißt versagen und Kolleg*innen kritisieren heißt Nest beschmutzen.
Und genau da müssen wir ansetzen. In Zeiten des Internets, der Sozialen Medien versandet Kritik nicht mehr, wenn man nur lange genug den Kopf in den Sand steckt – und das ist auch gut so! Ich habe hier schon einmal darüber geschrieben, dass wir als Journalist*innen das Korrektiv sein müssen, für die mangelnde Diversität unseres Jobs. Es ist an uns, diese Kritik zu hören und vor allem Menschen sprechen zu lassen, die es betrifft.
Steffen Hallschka schreibt weiter:
„Ich bin bereit, in einen konstruktiven Austausch über Alltagsrassismus und die Rolle der Medien zu gehen. Lasst uns dabei aber bitte auf das menschenverachtende Niveau verzichten, das in der Debatte der vergangenen Tage an vielen Stellen aufgeflammt ist. Wenn meine Gäste als „Schrottmenschen“ verunglimpft oder sexistisch beleidigt werden, untergräbt das leider jedes berechtigte Anliegen. In diesem Tonfall können wir nicht über Diskriminierung reden.“
Aha. Also bestimmen jetzt nicht mehr nur noch vier weiße Deutsche darüber, was Rassismus ist, sondern ein weißer Deutscher bestimmt auch, WIE die dabei diskriminierten Menschen ihren Unmut äußern dürfen? Mehr zu diesem Thema, dem „Tone Policing“ liest du hier von Melina Borčak oder hier von Michaela Dudley.
Hier nur ganz kurz: Es ist ein Abwehrmechanismus der verhindert, dass der Empfänger sich mit dem Inhalt der Kritik auseinandersetzt.
Was tun?
Wie wichtig es ist, dass wir als Journalist*innen zuhören und unserer Reichweite weitergeben, habe ich hier schon einmal beschrieben. Aber wir brauchen außerdem eine völlig neue Fehlerkultur. Es muss normal werden, um Entschuldigung zu bitten und zwar bei den Betroffenen. Dabei darf das Ziel nicht Absolution und weiße Weste sein, sondern die Verbesserung des Status Quo. Und das erfordert einzuräumen, dass etwas falsch läuft.
Peter Klaus Brandl schreibt in seinem Buch “Crash-Kommunikation”:
„Eine fehlerfeindliche Kultur geht davon aus, dass Fehler nicht sein dürfen und um jeden Preis verhindert werden müssen. Sie ignoriert damit schlicht die menschliche Fehlbarkeit. Das führt zum Vertuschen und Verschweigen von Fehlern.“
Das ist es, was Steffen Hallaschka hier so krampfhaft versucht: Fehler kleinreden, vertuschen und relativieren. Sein Arbeitsumfeld fordert das von ihm – aber das darf keine Ausrede sein. Diese WDR-Geschichte zeigt, wozu unsere mangelnde Fehlerkultur im schlimmsten Falle führt. Dazu nämlich, dass solche Formate immer wieder abgenickt werden. Dass die Kritik daran immer wieder unter den Teppich gekehrt wird, die Stimmen die sie äußern immer wieder unterdrückt werden. Und am Ende dazu, dass wir die immer neue Diskriminierung ohnehin schon marginalisierter Gruppen fördern und legitimieren.
Der Wahrheit näher kommen
Wir brauchen also, neben mehr Diversität auch einen Mindset-Shift. Indem wir Kritik nicht mehr als einen Makel ansehen, sondern als Möglichkeit, der Wahrheit noch ein bisschen näher zu kommen, zum Beispiel. Indem wir anerkennen, dass wir Hilfe brauchen, wenn wir über Lebensrealitäten schreiben, die uns fremd sind. Und indem wir es zur Normalität machen, nicht mehr ÜBER Menschen zu reden, sondern mindestens mit ihnen. Idealerweise treten wir sogar einen Schritt zurück und lassen sie selbst sprechen – so lange, bis wir einen diversen Journalismus erreicht haben, der unsere ganze Gesellschaft repräsentiert.